Class/Bürkle/Scherzer: Artikel zur Karsterforschung

14. Mai 2021 /

Authoren: Harald Scherzer, Holger Class & Pascal Bürkle
Titel: "Nerochytische Speläogenese – Versenkung von CO2 aus der vadosen Zone in das Karstwasser der phreatischen Zone: Stand der Forschung 2020"
Journal: Laichinger Höhlenfreund
[Bild: IWS-LWW]

Zum Hintergrund des Artikels

Der Artikel "Nerochytische Speläogenese - Versenkung von CO2 aus der vadosen Zone1 in das Karstwasser2 der phreatischen Zone:3 Stand der Forschung 2020" wurde im Laichinger Höhlenfreund, Ausgabe Nr. 55, veröffentlicht. Der Laichinger Höhlenfreund ist eine Zeitschrift, die sich an die deutschsprachige Höhlengemeinschaft wendet, vom Hobby-Höhlenforscher bis zum Wissenschaftler in der Wissenschaft.

Grundlage der Veröffentlichung ist die am Lehrstuhl für Hydromechanik und Hydrosystemmodellierung des Instituts für Wasser- und Umweltsystemmodellierung (IWS-LH2) der Fakultät angefertigte Bachelorarbeit "Experimentelle Visualisierung von Konvektion durch in Wasser gelöstes CO2" von Pascal Bürkle, die von apl. Prof. Holger Class betreut wurde. Dieses Thema steht im Zusammenhang mit dem im Antrag für die zweite Förderperiode des SFB 1313 formulierten "Visionsthema".  Die Prozesse an den Grenzflächen zwischen Atmosphäre und Vadosezone sowie zwischen der Vadosezone und der gesättigten Zone stehen im Zusammenhang mit ähnlichen Prozessen im Bereich der Verdunstung aus Böden und der Salzausfällung.

Die Hypothese

Die Erforschung der Entstehung von Höhlen dient nicht nur dem besseren Verständnis der Speläologie4. Das Wissen über CO2-bezogene Prozesse kann auch das Potenzial haben, in Zukunft für einen möglichen Klimaschutz oder Geoengineering genutzt zu werden5.  Da dies stark mit dem Untergrund zusammenhängt, berührt es eines der Kerngebiete der Porous-Media-Forschung.

Der Artikel diskutiert die Untersuchung eines möglicherweise fehlenden Prozesses in der aktuellen Verkarstungstheorie6 - die Autoren bezeichnen dies als "nerochytische Speläogenese" (NERO; nerochytisch vom griechischen Wort für "Senke"). Nach dieser Hypothese fließt das für die Entstehung von Höhlen notwendige Kohlendioxid (CO2) nicht nur passiv mit dem vorhandenen Grundwasser durch den Untergrund. Sie gehen davon aus, dass das CO2 in der Luft zusätzlich eine eigene Mobilität und Auflösungsdynamik entwickelt, die es unter den richtigen Umständen in die Tiefe der unterirdischen Wasserkörper lenkt ("absinkt"). Sie wollen untersuchen, wie wichtig dieser spezielle NERO-Prozess ist und ob er zur Verbesserung der Verkarstungstheorien beitragen kann. Ähnliche Prozesse sind aus der Forschung zur geologischen Sequestrierung von CO2 bekannt.

CO2 ist die wichtigste wässrige Komponente bei der Höhlen- und Karstbildung. Ohne CO2 ist keine Karstbildung möglich. Der Prozess läuft folgendermaßen ab: CO2 löst sich in Wasser. Das Wasser wird sauer. In diesem Zustand werden Karbonate (Kalkstein) aus dem Gestein gelöst. Um diesen Prozess in Gang zu halten, ist ein ständiger Nachschub an CO2 notwendig, aber woher kommt das CO2? Nach der gängigen Theorie ist das Regenwasser für den Transport von CO2, das von Mikroorganismen im Untergrund produziert wird, in den tieferen natürlichen Untergrund verantwortlich. Dort löst das CO2 den Kalkstein auf. Die Autoren des Artikels gehen davon aus, dass der oben erwähnte NERO-Prozess, ein weiterer CO2-Auflösungsprozess, berücksichtigt werden muss. Das CO2 in der Luft wird in Richtung des Karstwasserspiegels transportiert, z.B. durch barometrische Veränderungen oder Höhlenbelüftung. Nach ihrer Theorie sinkt das CO2 in den Karstwasserspiegel und löst sich dort unter den richtigen Umständen von selbst auf (siehe Bild unten).

Pascal Bürkle untersuchte diesen speziellen physikalischen Prozess in seiner Bachelorarbeit, wobei er sich auf Experimente konzentrierte und die Dynamik des sich auflösenden CO2 untersuchte. Wie schnell ist dieser Prozess? Welche treibende Kraft ist dafür notwendig? Mit Hilfe der experimentellen Daten konnten die Autoren die Ergebnisse mit einem numerischen Modell vergleichen und zeigen, dass ihr Modell in der Lage ist, die relevanten Prozesse zu erfassen. Dieser neu formulierte Ansatz soll in erster Linie die Forschung anregen, bisheriges Wissen und Verständnis zu hinterfragen und ggf. neu zu interpretieren.

Zukünftige Arbeiten

Holger Class, Pascal Bürkle, Harald Scherzer (Höhlen- und Heimatverein Laichingen), Oliver Trötschler (VEGAS, Uni Stuttgart) und Kollegen vom Geoforschungszentrum Potsdam (Martin Zimmer, Bettina Strauch) werden weitere Experimente in diesem speziellen Forschungsfeld durchführen. Im April/Mai 2021 wollen sie für einen Zeitraum von zwei bis drei Jahren eine 6 Meter hohe Säule in der "Laichinger Tiefenhöhle" aufstellen, um die saisonalen CO2-Zyklen sowohl in der Höhlenluft als auch im Wasserkörper auf einer größeren Zeitskala zu messen.

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1 Karst: Karst ist eine Topographie, die durch die Auflösung von löslichen Gesteinen wie Kalkstein, Dolomit und Gips entsteht. Er ist gekennzeichnet durch unterirdische Entwässerungssysteme mit Dolinen und Höhlen.
2 Speläologie: die wissenschaftliche Erforschung von Höhlen und anderen Karstgebilden.
3 Vadose Zone: Bereich zwischen der Erdoberfläche und dem Grundwasserspiegel. In der vadosen Zone ist der Porenraum nur zeitweise mit versickerndem oder absinkendem Niederschlagswasser gefüllt.
4 Phreatische Zone: Bereich unterhalb des Grundwasserspiegels. In der phreatischen Zone ist der Porenraum ständig mit Wasser gefüllt.
5 SFB 1313-Gast Prof. Dr. Ingrid Kögel-Knabner von der TU München forscht genau auf diesem Gebiet. Sie hielt am 18. Juni 2020 eine Anneliese-Niethammer-Vorlesung [EN] zum Thema "Mineral surfaces and organic matter accumulation in soils" (Mineralische Oberflächen und organische Substanzanreicherung in Böden), die noch auf dem YouTube-Kanal des SFB 1313 abrufbar ist.
6 Die Verkarstungstheorie beschreibt die Höhlenbildung.

Versuchsaufbau: Der Versuch zeigt Wasser (blau) und gelöstes CO2 (grün). Der Vorgang des Lösens von CO2 in Wasser wird als "Fingering" bezeichnet.

Mehr zum AK NERO

Höhlenexperiment: Aufstellen der 6 Meter hohen Säule in der "Laichinger Tiefenhöhle" im April 2021.

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